Der Standort
Das Helvetische Kollegium (Collegium Helveticum) wurde 1579 vom Mailänder Erzbischof Karl Borromäus begründet. Nebst dem Seminario Vescovile Maggiore an der Porta Orientale (heute Corso Venezia) wollte er eine weitere Bildungsstätte in Mailand für den säkularen Klerus - und insbesondere für Schweizer Studenten - einrichten, der in den eidgenössischen Pfarreien der Mailänder Diözese wirkte, wo bereits die protestantische Reformbewegung Fuß gefasst hatte.

Das Helvetische Kollegium hatte seinen provisorischen Sitz zuerst bei der Kommende Santo Spirito. 1583 siedelte es in das aufgehobene Humiliatinnenkloster Santa Maria di Vigevano bei der Porta Nuova über, das „fast gänzlich den südwestlichen Teil eines Häuserblocks in der Nähe des Naviglio einnahm und an das Ufer des Naviglio, die so genannte Strada Marina, das Stadtviertel San Primo und die Straße zur alten Basilika San Dionigi grenzte“ (S. Della Torre, „L'Archivio edificato nell'architettura milanese“ [Der Archivbau in der Mailänder Architektur] in L'Archivio di Stato di Milano, a cura di G. Cagliari Poli, Firenze, 1992). Die übrigen Teile des Häuserblocks befanden sich teils in Privathand und teils im Eigentum des nahe gelegenen Klosters San Pietro Celestino bzw. der Pfarrkirche San Primo samt anliegendem Kloster Sant'Ambrogio ad Nemus. Mit dem eigentlichen Neubau des Helvetischen Kollegiums - beginnend bei der Kirche - wurde jedoch erst etliche Jahre später begonnen, und zwar 1608 unter dem Kardinal Federico Borromeo, einem Vetter von Karl Borromäus.

Anders als immer behauptet, war in den ersten Jahren nicht so sehr der Architekt Fabio Mangone mit dem Projekt und den Bauarbeiten beschäftigt, sondern zeichneten vielmehr zwei weniger bekannte Vertreter des Mailänder Baugewerbes dafür verantwortlich, und zwar der Baumeister Cesare Arano und der Bauingenieur und Architekt Aurelio Trezzi. Erst seit 1613 findet Fabio Mangone als ingenierius des Kollegiums Erwähnung. „Er verfasst die Verdingungsunterlagen, in denen jedes architektonische Detail festgelegt ist: ein Portikus mit dorischen Säulen, überragt von einer Loggia mit ionischen Säulen, beide mit Architrav und Tonnengewölbe.“ (N. Onida, Architetture milanesi. Collegio Elvetico [Mailänder Bauwerke. Helvetisches Kollegium], Centro per l'architettura di Milano, 1997).
Der bis 1613 fertiggestellte Gebäudeteil, der sich bis zum jetzigen ersten Innenhof erstreckt, war entlang der Via San Primo ausgerichtet. Die ebenfalls von Mangone verantworteten Bauarbeiten für den zweiten Innenhof begannen erst nach 1621 bzw. 1622, obgleich eine Erweiterung vermutlich bereits seit 1613 geplant war. Unter der Leitung von Mangone entstanden auch die Arkadengänge in der Via Marina.
Die Fassade des Kollegiums wurde erst 1632, nach Vollendung des zweiten Innenhofs, in Angriff genommen. Nachdem Mangone 1629 an der Pest gestorben war, ging der Auftrag für die Fassade an Francesco Maria Richini, der vom Kardinal Federico Borromeo zum „Architekten der Kirchenbauten“ ernannt wurde. Richini stand vor einem recht kniffligen Problem: Wenn die Gebäudefassade mit den Innenhöfen gefluchtet wäre, würde sie - anders als die Kirchenfassade - nicht parallel zum Naviglio verlaufen. Doch er fand eine originelle Lösung, und zwar eine konkave Fassade ohne Säulenordnung, die „die fehlende Fluchtung zum Innenhof teilweise kaschierte“ (Onida). Da das Wappen der Litta die Fassade ziert, kann davon ausgegangen werden, dass sie erst nach 1652 unter dem Erzbischof Alfonso Litta zur Vollendung gelangte. Im Jahr 1664 erfuhr das Gebäude eine weitere Erweiterung durch den Erwerb des benachbarten Klosters San Primo samt Kirche, nachdem der Ambrosiusorden, dem es unterstand, aufgelöst worden war. Die Leitung der Bauarbeiten übernahm zuerst der Architekt Gerolamo Quadrio und daraufhin sein Sohn, der Architekt Giovanni Battista Quadrio. „Ersterer nahm auch Arbeiten in der Kirche mit einer neuen Ausschmückung und einer rückwärtigen Chorwand (um 1674) vor und veranlasste vermutlich auch die Verzierung der Prunktreppe. Der Zweite errichtete den Portikus zwischen den beiden Innenhöfen und den am Ende des zweiten Innenhofs (um 1713 und 1721).“ (Onida). Nach mehr als anderthalb Jahrhunderten fehlten zur Fertigstellung der Innenhöfe nur noch die Arkadengänge entlang der Via San Primo, die 1776 vom Architekten Leopoldo Pollack, dem neuen Verantwortlichen für den Kollegiumsbau, vollendet wurden.
Nach der Schließung des Helvetischen Kollegiums und dem Umzug der Kleriker in das Seminario della Canonica im Jahr 1786 hatte das Gebäude verschiedene Zweckbestimmungen. Von 1786 bis 1796 war es Sitz des Regierungsrats von Mailand und erfuhr es einige Umbauten nach Plänen der Architekten Giuseppe Piermarini und Marcellino Segrè.
Während der zwanzigjährigen Napoleonherrschaft war der Palazzo zuerst Sitz des Gran Consiglio degli Juniori della Repubblica Cisalpina, also der Unterkammer der Cisalpinischen Republik (1797-1802), dann des Kriegsministeriums der Italienischen Republik (1802-1808) und schließlich des Senats des Königreichs Italien (1809-1814), nach dem er benannt ist. Unter diesem Namen ist der Bau noch heute bekannt, ungeachtet der kurzen Lebensdauer und der relativen Bedeutung dieser Institution.
In der darauffolgenden Restaurationszeit beherbergte das Gebäude das Kaiserliche Kommando und die Österreichische Kanzlei (1814-1816), auf die der Staatliche Rechnungshof (1816-1859) folgte. Nach der Einigung Italiens wurde der Palazzo del Senato mehr und mehr zu Kultur- und Studienzwecken bestimmt. Zuerst zog die Wissenschaftlich-literarische Akademie Mailands ein (1862-1863), woraufhin ab 1865 seine Umnutzung zum Standort des Staatsarchivs Mailand in Angriff genommen wurde. Um 1870 begann man mit den Kostenvoranschlägen, Gutachten und Ausschreibungen für den schrittweisen Umzug des Regierungs-, Gerichts- und Finanzarchivs in das ehemalige Helvetische Kollegium.
Ungefähr fünfzehn Jahre lang teilte sich das Staatsarchiv das Gebäude mit anderen Institutionen wie dem Schwurgericht (1862-1881), der Fachhochschule bzw. dem künftigen Polytechnikum Mailand, der Dauerausstellung der Schönen Künste (1870-1886) und der Weltausstellung von 1881. Außerdem sei angemerkt, dass 1871 die im Jahr 1842 gegründete und bis heute bestehende Schule für Archivkunde, Paläografie und Diplomatik vom San Fedele zum Archiv umzog. 1886 schließlich wird das Staatsarchiv Mailand dauerhaft im Palazzo del Senato untergebracht, wo es als einzige Einrichtung verbleibt. Im selben Jahr kamen die Umzugsarbeiten zum Abschluss, in deren Verlauf fast alle Archive allmählich von ihren ehemaligen städtischen Aufbewahrungsorten ins Staatsarchiv überführt wurden. Der umfangreiche Bestand von notariellen Urkunden aus dem Palazzo della Ragione, auch Broletto genannt, an der Piazza Mercanti gelangte erst 1944 in das Staatsarchiv Mailand.
Im August 1943 erlitt das Archiv während der schweren Bombenangriffe auf Mailand erhebliche Gebäude- und Bestandsschäden. Bei den Wiederaufbauarbeiten „folgte man dem Kriterium, die Fassade und Innenhöfe zu erhalten und die dahinter befindlichen Baukörper nach nutzungsorientierten Kriterien zu rekonstruieren“ (Onida). Auf fast 50 laufenden Regalkilometern wird heute ein umfangreicher Bestand wertvoller archivalischer Quellen aufbewahrt, die den Besuchern des Staatsarchivs zur Verfügung stehen.
Verfasst von Giovanni Liva, Staatsarchivar


